Die Zeit Nr. 26/2016 v. 16.06.2016, Dossier

Die Milchmaschine


Von Tanja Busse und Maria Feck (Fotos). Untertitel: „Die Landwirte bekommen kaum noch Geld für die Milch, viele stehen vor dem Ruin. Unsere Autorin ist selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen. Sie hat eine Erklärung für die Krise: Mit den Kühen stimmt etwas nicht“

Ursache der Milchpreismisere sieht Tanja Busse in der modernen Tierhaltung, in der computergestützten Technik für die Großbestände und in „neuen Kühen“. Die Holstein-Friesian-Kühe sind aus dem milchbetonten Deutschem Schwarzbuntem Niederungsrind entstanden und haben sich vor 30-40 Jahren durchgesetzt. Die heutigen Hochleistungskühe sind großrahmig, mager, ganz auf Milchleistung gezüchtet.

Holger Marten, der Tiermediziner und emeritierter Professor in Berlin, habe nachgewiesen, schreibt Tanja Busse, dass die Tiere rein biologisch dem hohen Leistungsdruck eigentlich nicht gewachsen sind. Deshalb folgten unweigerlich Stoffwechselkrankheiten, Euterentzündungen und Fruchtbarkeitsstörungen, was die Tiere nur ca. 4-6 Jahr alt werden lässt, bevor sie aussortiert werden und zum Schlachter gehen.

Auch die männlichen Kälber seien ein „Systemfehler“  schreibt sie, weil sie nicht genug Fleisch ansetzten für die Fleischerzeugung. Manche Bauern hätten Zweifel an dieser Art der Haltung und stiegen aus oder reduzierten ihre Bestände.


Die Exportorientierung als „Ziel der deutschen Agrarrevolution“ sei ein weiterer Irrweg, schreibt sie und verweist auf andere Klimabedingungen wie Amerika, Australien und Neuseeland, wo Fütterung und Haltung nicht so viel Aufwand benötigen wie in Mitteleuropa.

Auch die Öko-Milch-Preise unterlägen letztlich Angebot und Nachfrage.


Sie schlägt vor, die Milchviehhaltung in Europa an ausreichend Weideflächen zu koppeln und so den Tieren ein artgerechteres Leben zu ermöglichen. Durch Emotionalisierung könne man auch die Verbraucher von dem geänderten System und angemessenen Preisen überzeugen.

Es folgen einige Textpassagen im Original

Zur Milchviehhaltung in Eversen in dem 1970er Jahren und Vergleich

Es wird still auf dem Land, schreibt sie. – Was alles wird wegfallen?

„Ich bin auf einem Bauernhof in Ostwestfalen aufgewachsen. Als ich klein war, lebten bei uns 30 Hühner, 40 Schweine, mehrere Katzen, ein Pony sowie 25 Kühe und ihre Kälber. Das klingt wie Bullerbü und genauso war es auch.“

Ende der 1970er Jahre gab es eine Nichtvermarktungsprämie der EU. Der Betrieb Busse nahm diese in Anspruch und schaffte die Kühe ab.


"Das war „der Anfang vom Ende einer mindestens  Jahre urkundlich verbrieften Familientradition. Fortan mästete mein Vater Bullenkälber, später verpachtete er sein Land und schloss den Kuhstall. Heute steht der Stall leer und die Milchkammer ist zugewachsen.

Mein Vater hatte seinen Bauernhof so geführt, wie es damals üblich war. Im Winter standen die Kühe im Stall, den Sommer verbrachten sie auf der Weide. Jeden Morgen und jeden Abend fuhr mein Vater mit dem Trecker die zwei Kilometer zu ihnen hinüber. Die Kühe trotteten zum Futterwagen, und währen d sie das geschrotete Getreide fraßen, das von unseren eigenen Feldern stammte, schloss mein Vater eine Vakuumpumpe an die Zapfwelle des Treckers an, die für Unterdruck in den drei Melkgeschirren sorgte. Viel Aufwand für ein paar Liter Milch.“

Als Kontrast beschreibt sie einen modernen Milchviehbetrieb in Ostfriesland


„Peter Habbena. Mitte vierzig  … hat nicht 25 Milchkühe wie mein Vater früher, sondern 200. Habbena melkt sie mit dem „20er swing-over side-by-side Melkstand“, eine Art begehbare Maschine, in die gleichzeitung 20 Kühe gleichzeitig hineinpassen, 10 links und 10 rechts. Jedes Tier trägt einen Chip am Halsband. Computergestützte Futterautomaten teilen den Kühen während des Melkens eine individuell abtgestimmte Menge an Kraftfutter zu: Energie für die Milchproduktion. Eine Roboterstimme sagt 'Nummer 147 langsam' damit Peter Habbena weiß, bei welcher Kuh die Milch nicht so schnell strömt wie bei den anderen.“


Es folgt eine Beschreibung des Melkens und Wechsels der Gruppe im Melkstand.

Man kann die Lösung des Problems dem Markt überlassen. Dann würde in den kommenden Monaten ein Milchbauer nach dem anderen seinen Hof aufgeben. Sie würden aus den Dörfern verschwinden, so wie schon die Tante-Emma-Läden verschwunden sind und kleine Handwerksbetriebe. Es würde dann noch ein wenig stiller auf dem Land werden. Man würde nicht mehr das Knattern mancher Trecker hören, das Muhen der Kühe. Einige Höfe würden vielleicht zu Ferienhotels umgebaut werden, andere würden verfallen.

Mit den Bauernhöfen würde sich ein Stück Kultur auflösen, das unser Leben prägt. Nicht umsonst lieben Kinder ihre Kinderbücher mit Kühen, Schweinen und Traktoren. Der Bauernhof ist ein kollektiver Sehnsuchtsort, ein Ort, an dem wir sehen und riechen wie unsere Lebensmittel entstehen, der Ort, der uns zurückbindet an den Rhythmus der Jahreszeiten und auch an der Grenzen der Natur in Zeiten unbegrenzten Wachstums. Der Bauernhof ist einer der Ursprungsorte menschlicher Zivilisation.“